11.09.2024

Systemisches Konsensieren in der Praxis

Eine Arbeitsgruppe wendet eine eher unbekannte (und etwas ungewohnte) Entscheidungsmethode an.

Entscheidung

Systemisches Konsensieren lässt mehr als zwei Möglichkeiten (zum Beispiel Ja oder Nein) zu.

In einer Arbeitsgruppe ging es darum, zwischen zwei ungefähr gleichwertigen Optionen eine auszuwählen. Für beide Optionen gab es Punkte, die dafürsprachen und Punkte, die dagegensprachen. Auch die Mitglieder der Arbeitsgruppe waren sich nicht nur als Gruppe nicht einig, sondern sie schwankten auch individuell zwischen den beiden Optionen hin und her. Doch es konnte nur eine Option berücksichtig werden.

Feine Abstimmung der eigenen Haltung

Wir entschieden uns, die Entscheidung mit dem Verfahren «systemisches Konsensieren» zu fällen. Beim systemischen Konsensieren «gewinnt» nicht die Option mit der Mehrheit der Stimmen (dadurch benötigt es auch keine ungerade Anzahl Abstimmer:innen oder einen Stichentscheid) und es braucht auch keine Einstimmigkeit. Das systemische Konsensieren ermittelt den Gesamtwiderstand der Teilnehmer:innen für die einzelnen Optionen. Jede Person kann für jede Option ihren Widerstandswert zwischen 0 (keinen Widerstand = kein Einwand gegen diesen Vorschlag) und 10 (sehr grossen Widerstand = totale Ablehnung dieses Vorschlags) angeben. Mit den Werten dazwischen können die Personen ihre Einschätzung feiner abstimmen. Die Option mit dem tiefsten Gesamtwiderstand ist die für die Gruppe beste Variante.

Zügiger Verlauf, klare Sache

Die Widerstandsmessung (Abstimmung) verlief sehr zügig. Jede Option konnte bei sechs Teilnehmer:innen einen Gesamtwiderstandswert zwischen 0 und 60 aufweisen. Option 1 erhielt 10 Widerstandspunkte, Option 2 erhielt 17. Somit war Option 1 die für die Gruppe bessere Option. Beide Optionen erhielten in diesem Fall relativ wenig Widerstandspunkte: Option 1 weist einen durchschnittlichen Widerstandswert von 1.6 auf (10:6), die zweite Option einen Durchschnitt von 2.8. Der höchste Widerstandswert betrug 5. Auch das ist kein enorm grosser Widerstand gegen die entsprechende Option.

Was anders ist

Für fünf der sechs Personen war das Ergebnis in ihrem Sinn. Eine Person hat die zweite Option bevorzugt, weist für Option 1 jedoch auch nur einen Widerstandswert von 4 aus – kann also einigermassen gut mit dem Entscheid leben. Vermutlich wäre bei einer Mehrheitsabstimmung das gleiche Ergebnis herausgekommen. Nur hätte sich dann die Person, die bei beiden Optionen keinen Widerstand hatte, für eine der beiden Optionen entscheiden müssen.

Systemisches Konsensieren hat praktisch nur Vorteile

Systemisches Konsensieren ist nicht sehr kompliziert und eignet sich insbesondere dann, wenn mehr als zwei Optionen zur Auswahl stehen oder die Entscheidung ein hohes Konfliktpotential aufweist. Beim systemischen Konsensieren gib es keine Sieger (Mehrheit) und Verlierer (Minderheit). Das Verfahren eignet sich auch, wenn die Anzahl der Abstimmenden keine ungerade Zahl ist. Ausserdem ist sogleich ersichtlich, wie akzeptiert die für die Gruppe beste Lösung ist (beziehungsweise wie viel/wie wenig Widerstand sie aufweist). Der vermeintliche Nachteil des «technokratischen» Verfahrens hat für uns praktisch keine Bedeutung.

Systemisches Konsensieren hat sich bewährt

In unserem Fall hat sich das systemische Konsensieren bewährt. Wir wären kaum so rasch auf eine Einigung gekommen. Nicht unbedingt, weil es eine Patt-Situation gegeben hätte, sondern weil sich einige in der Gruppe nicht für die eine oder für die andere Option entscheiden konnten (und somit jeweils auch gegen die andere). Deshalb hätte eine sehr lange und ermüdende Diskussion über die Vor- und die Nachteile der jeweiligen Optionen stattgefunden, die allerdings wenig zur Meinungsfindung beigetragen hätte.

Haben Sie auch eine komplexe Entscheidungssituation vor sich, die aus mehreren Optionen besteht, hohes Konfliktpotential aufweist oder bei der es schwierig ist, sich für oder gegen eine Option zu entscheiden? Dann lassen Sie uns gemeinsam systemisch konsensieren…
 

Autor

Beat Kunz

Beat Kunz ist Organisations- und Kommunikationsberater. Im Blog berichtet er aus seiner vielfältigen Tätigkeit bei crearium.

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