In Organisationen gibt es immer wieder Dinge zu entschieden. Je weitreichender die Auswirkungen der Entscheidung ist, desto weiter oben wird sie in stark hierarchischen Organisationen getroffen. Weil die Mitglieder dieses Gremiums häufig nicht die grösste fachliche Könnerschaft haben, um den Entscheid ohne weiteres zu fällen, braucht es entsprechende Grundlagen, die die aktuell bekannten Fakten zusammenfassen.
In früheren Zeiten, als die Komplexität in der Wirtschaftswelt zu einem grossen Teil ausgeblendet werden konnte, hat das gut funktioniert. Wenn alle (oder zumindest die meisten) wesentlichen Fakten vorhanden, die verschiedenen Optionen verständlich und die Auswirkungen des Entscheids gut abschätzbar sind, dann muss eigentlich nicht entschieden werden. Entweder ist die beste Option klar und liegt auf der Hand. Oder das Entscheidungsgremium kann zwischen mehreren Optionen auswählen, weil es die Folgen abschätzen kann.
Durch die Zunahme der Komplexität nimmt die Bedeutung der bekannten Fakten ab, weil die Auswirkungen kaum mehr eingeschätzt werden können. Während früher meistens «Wenn – dann» galt (Wenn wir Option A wählen, dann folgt…), ist dies in der VUCA-Welt kaum mehr abschätzbar. Für ein Gremium, das sich gewohnt ist, aus Optionen mit einigermassen klar abschätzbaren Folgen auszuwählen, ist das eine unangenehme Situation.
Eine erste, nachvollziehbare Reaktion ist, mehr Grundlagen zu beschaffen, um die Folgen besser abschätzen zu können. Unter Komplexität ist dies jedoch ein hoffnungsloses Unterfangen. So wird das Gremium nie zu einem Beschluss kommen. Schlussendlich bleibt nichts anderes übrig, als unter (grosser) Ungewissheit zu entscheiden – und nicht aus mehreren Optionen auszuwählen.
Weil damit auch ein hohes Mass an Verantwortung einhergeht und ein Entscheid sich später als ungünstig herausstellen kann, ist es hilfreich, sich dessen zum Zeitpunkt des Entscheids bewusst zu sein. Mit einer entsprechenden Formulierung kann dies deutlich gemacht werden: «Wir entscheiden uns aufgrund der vorliegenden Fakten für dieses Vorgehen, weil …». Diese Begründung dient weniger der Absicherung vor allfälligen Reaktionen, sondern hilft mehr, mit der eigenen Unsicherheit umzugehen.
Es fällt dann auch leichter, den getroffenen Entscheid zu revidieren, wenn neue Fakten bekannt sind. Denn unter hoher Komplexität braucht es weniger Entscheide «für die Ewigkeit», als vielmehr ein gutes Gespür, wann ein getroffener Entscheid eine Anpassung benötigt. Anders als beim Auswählen ist beim Entscheiden unter Ungewissheit der Prozess mit dem Entscheid nicht abgeschlossen. Bei der Umsetzung des Entscheids gilt es laufend, die Auswirkungen zu beobachten und allfällige neue Fakten aufzunehmen und so die ursprüngliche Entscheidung gegebenenfalls zu revidieren.
Entscheidungen zu revidieren ist wenig beliebt, weil es nicht dem Anspruch der Standfestigkeit entspricht. Wer seine eigenen Entscheidungen revidiert gilt als wankelmütig und hat keine klare Linie, so der oft geäusserte Vorwurf. Doch der Anspruch der Geradlinigkeit ist in Zeiten hoher Komplexität nicht mehr angebracht. Er ist sogar schädlich. Unter Komplexität bedeutet eine klare Linie zu haben nicht mehr das sture Festhalten an einem Beschluss, sondern die Fähigkeit, die Folgen eines Entscheids zu beobachten und daraus Schlüsse zu ziehen.
Organisationen, die in einem Umfeld mit hoher Komplexität operieren, tun deshalb gut daran, ihre Entscheidungswege zu überdenken. Entscheidungen müssen nicht zwingend oben in der Hierarchie getroffen werden. Besser ist es, Entscheide dort zu fällen, wo sie anfallen – und das ist in der Regel in der Wertschöpfungsstruktur und nicht in der formellen Struktur.
Wie treffen Sie Entscheide unter Ungewissheit?
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!