16.12.2020

Vom Plädieren und Erkunden

Wenn Organisationen oder Teams lernend unterwegs sein wollen, braucht es eine gute Gesprächsbalance.

Perspektivenwechsel

Durch Fragen ist es möglich, neue Perspektiven kennenzulernen.

Zwei Teams, die sich mit Selbstorganisation beschäftigen, führten ein spannendes Gespräch über Transparenz. Es ging dabei um einen Vorschlag, wie das Team Bürokratie reduzieren und Informationen allen zugänglich machen kann. Konkret stand folgender Vorschlag im Raum: jede Person darf Material zulasten eines Beschaffungskontos einkaufen. Es braucht keine Bewilligung dafür und alle haben Einsicht auf dieses Konto. Somit ist für alle jederzeit ersichtlich, wer was zu welchen Kosten eingekauft hat. Dieser Vorschlag war neu und eine Person äusserte gewichtige Bedenken. Im anschliessenden Gespräch versuchten die Teamkollegen, die Bedenken durch eigene Standpunkte zu entkräften. Je länger das Gespräch dauerte, umso stärker wurden die Ansichten und es bildeten sich Stimmungen dafür oder dagegen. Damit sich daraus nicht Fronten bilden, hilft eine Gesprächskultur, die eine gute Balance im Plädieren und Erkunden hat. Und davon handelt dieser Blogbeitrag.

Plädieren oder: den eigenen Standpunkt vertreten

Durch unsere Ausbildungen sind wir eher so sozialisiert, dass es wichtig ist, gut darin zu sein, für unsere Themen oder Meinung zu plädieren und sie zu verteidigen. In Führungskreisen ist es häufig angesehen, wenn jemand seine Meinung kraftvoll vertreten und andere beeinflussen kann. In Zeiten hoher Komplexität, wo es gilt, das Wissen und die Erfahrung vieler zu nutzen, ist dies aber nicht sehr hilfreich, ja sogar kontraproduktiv. Denn mit dem Beharren auf dem eigenen Standpunkt und ohne das Erkunden fremder Aspekte ist kein Lernen möglich. Selbst wenn wir einander beim Plädieren zuhören und die Erfahrung unseres Kollegen oder Kollegin schätzen, steigern wir uns im reinen Plädieren in einer Art Verhärtung oder Eskalation. In der Nutzung des Wissens aller geht es aber nicht um gewinnen oder verlieren. Natürlich ist es wertvoll, eine Meinung zu haben und seine Gedanken zu teilen. Vor allem dann, wenn ich bereit bin, meine Gedanken zur Überprüfung bereit zu stellen und wenn ich offen für andere Sichtweisen bin. Beim Argumentieren (oder Plädieren) können deshalb folgende Punkte helfen:

  • Ich sage offen meine Meinung und mache transparent, wie ich zu dieser Ansicht gelangt bin. Dabei lege ich meine «Daten», wie ich zu diesem Urteil gekommen bin, offen.
  • Ich lade andere ein, meine Ansicht zu hinterfragen. Zum Beispiel: «Gibt es Lücken in meiner Herleitung, in meinen Gedanken?»
  • Ich lade dazu ein, dass andere Ansichten Platz haben. Zum Beispiel: «Gibt es andere «Daten»? Oder zieht jemand andere Schlüsse aus diesen?»

Erforschen und erkunden

Fragen zu stellen ist ein wirkungsvolles Instrument, damit sich ein Dialog öffnen kann und sich nicht eine Polarisierung entwickelt. Dazu gehören ein offenes Ohr, echtes Interesse am andern und die Bereitschaft, die Perspektive zu wechseln. Natürlich gibt es auch Grenzen beim Fragen stellen. Eine undurchdringliche Fragemauer behindert das gemeinschaftliche Lernen ebenso. Folgende Fragen können beim Erforschen (oder Erkunden) unterstützen:

  • Was veranlasst dich zu dieser Meinung?
  • Kannst du mir einige Beispiele dazu nennen?
  • Auf welche «Fakten» oder «Daten» beziehst du dich?
  • Gibt es eine zeitliche Komponente darin?

Die Balance fördert das Lernen

Wenn ein Team oder eine Organisation eine gute Balance zwischen Plädieren und Erforschen entwickelt, fördert dies die Lernfähigkeit und die Möglichkeit, die klügste Argumentation oder Lösung zu finden. Es ist ein ständiges hin- und herpendeln zwischen beiden Kräften mit dem Ziel, gemeinschaftlich und unternehmerisch unterwegs zu sein.

Und die beiden Teams? Nach anfänglicher Verstärkung der zwei Positionen half es, die Situation durch Fragen zu öffnen. Die Person, die die Bedenken geäussert hatte, lieferte wertvolle Einsichten und «Daten», die auch bei den anderen angeklungen sind. Gemeinschaftlich haben die Teams für sich einen Weg gefunden, wie sie mit Anschaffungen und dem Beschaffungskonto umgehen.

Autorin

Luzia Anliker

Luzia Anliker ist Beraterin und Coach. Im Blog berichtet sie aus ihrer langjährigen und vielfältigen Tätigkeit bei crearium.

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