In der Sendung Sternstunde Philosophie vom 16. Februar 2020 spricht Barbara Bleisch (SRF) mit Bernhard Pörksen (Medienwissenschaftler) und Kübra Gümüsay (Autorin und Aktivistin) über das gute Gespräch. Dabei wird auch die Macht der Sprache thematisiert. Da der Betacodex der Sprache ebenfalls eine grosse Bedeutung zuschreibt, greift dieser Blogbeitrag das Thema auf.
Kübra Gümüsay beschreibt in ihrem Buch folgende Situation: In einer warmen Sommernacht sitzt sie zusammen mit ihrer Tante und den Eltern am Strand. Nach einigen Momenten der Stille ruft die Tante: «Schau mal, wie dieser Yakamoz leuchtet!» Kübra Gümüsay schaut auf das Meer, entdeckt aber nichts. Erneut deutet die Tante auf das Wasser, doch noch immer war kein Leuchten erkennbar. Die Eltern lachen und erklären Kübra Gümüsay, dass der Begriff Yakamoz das Leuchten des Mondes auf dem Wasser beschreibt. Jetzt sah auch sie das helle Leuchten auf dem Wasser in der Dunkelheit. Ein sehr eindrückliches Erlebnis.
Bernhard Pörksen erklärte dieses Phänomen wie folgt: «Wir brauchen ein Wort oder einen Begriff, um eine Vorstellungskraft abzurufen. In gewissem Sinne ist Sprache ein wunderbares Instrument der Vielfältigkeit, aber auch ein Wahrnehmungsgitter, das einzelne Weltansichten transportiert, hervorhebt und andere fast unsichtbar macht.» Übersetzt heisst das: was wir kennen (und auch wahrnehmen können), können wir auch benennen. Und was wir benennen können, können wir wahrnehmen. Was sich aber ausserhalb unserer Wissens- oder Erfahrungswelt befindet, entzieht sich auch unserer Sprachbenennung. Erst wenn mir jemand ein Wort zur Verfügung stellt und ich seine Bedeutung erfahre, ist es für mich erkennbar.
Unsere Vielfalt der Sprachen zeigt dies deutlich auf. In Workshops benutzte ich einmal zwei Wörter in meinem Mundartdialekt. «Verhürscht» (verwirrt sein, durcheinander sein) und «grümschälä» (sich mit etwas unwichtigem beschäftigen, sich im Detail verlieren). Beide Wörter waren nicht allen bekannt und ich versuchte, dazu eine hochdeutsche Übersetzung zu generieren. Das war gar nicht so leicht und ich brauchte mehrere Wörter, um «verhürscht» zu erklären. Für diejenigen die das Wort kannten, war der Inhalt sofort klar und es schaffte Bedeutung. Wie ist es mit unserem täglichen Sprachgebrauch? Sind wir uns der Bedeutung unserer Sprache immer bewusst? Haben wir ein Bewusstsein dafür, welche Welt wir mit unserer Sprache fördern?
Unsere Sprache zeigt auf, mit welcher Haltung wir uns in der Welt bewegen. Bernhard Pörksen formuliert das so: «Die Sprache macht deutlich, mit welcher Haltung nähert man sich der Welt. Will man sie sich untertan machen? Geht es vor allem um Macht? Um die Befriedigung der eigenen Gier? Oder ist man bereit, den anderen als legitimen Anderen zu sehen?»
Dazu ein Beispiel aus unserer Tätigkeit. Wir beschäftigen uns beruflich mit Veränderung und Führung. Oft hören wir dabei den Begriff «meine Unterstellten». Damit sind die Menschen in dieser Organisation gemeint. Dieser Begriff beinhaltet eine Unterteilung zwischen oben und unten. Wie soll Kollaboration gelingen, wenn wir uns nicht auf Augenhöhe, als gleichwertige Menschen begegnen? Ein weiterer Ausdruck, der ein Gefälle ausdrückt: Wir müssen die Menschen abholen. Warten Menschen an einer Busstation, bis sie jemand an der Hand nimmt wie kleine Kinder und ihnen die Welt erklärt? Diese Aussage bringt zum Ausdruck, dass die Menschen passiv warten, bis der Retter (Chef, Manager) vorbeikommt und sie aus ihrer Starre erlöst. Eine Alternative dazu ist, Menschen zu etwas einzuladen. Wenn es genügend attraktiv ist, werden sie teilnehmen. Verantwortung übernehmen heisst, sich seiner Sprache bewusst zu sein und in der Organisation auch anzuwenden. Gutes Arbeiten erfordert eine Überdenkung von Begriffen.
Link zur Sendung «Sternstunde Philosophie» vom 16.02.2020 (vor allem ab Minute 43:00)
Link zum Blogbeitrag «Selbstverantwortung übernehmen», in dem es um den bewussten Einsatz von Sprache geht.
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