Mit der Coronakrise müssen alle von uns Einschränkungen in Kauf nehmen. In den verschiedenen Ländern und Regionen gestalten sie sich unterschiedlich. In Österreich beispielsweise ist das Betreten von öffentlichen Orten grundsätzlich verboten – mit wenigen Ausnahmen. In der Schweiz ist das nicht verboten, aber die Empfehlung lautet, zu Hause zu bleiben. Viele Gespräche drehen sich in der Schweiz deshalb darum, was jetzt noch möglich ist. Dies ist der Anlass für diesen Blogbeitrag, der aufzeigt, welche Folgen das unterschiedliche Vorgehen der Behörden hat.
Das grundsätzliche Verbot in Österreich, öffentliche Orte zu betreten, ist eine klare Regel. Es gibt dazu wenig Diskussionsbedarf. Für die Einwohnerinnen und Einwohner ist klar, wie sie sich zu verhalten haben. Sie müssen sich dazu keine Gedanken mehr machen, die Behörde hat für sie entschieden. Die Einschränkung ist allerdings auch sehr drastisch. Wir können davon ausgehen, dass es zu Regelverletzungen gekommen ist. Denn der Erlass von Regeln erfordert auch deren Kontrolle und Durchsetzung.
Die Empfehlung des Bundesrates, zu Hause zu bleiben, ist keine Regel. Sie ist ein Prinzip, das begründet ist und einleuchtet: «Wir bleiben zu Hause, damit wir andere Personen nicht gefährden und das Gesundheitssystem nicht überlasten». Das hat jedoch zur Folge, dass sich jede Bürgerin und jeder Bürger für sich selber entscheiden muss, was sie oder er unter Einhaltung dieses Prinzips noch verantworten kann. Dadurch ist die Einschränkung weniger drastisch als in Österreich und es gibt (individuelle) Bewegungsmöglichkeiten. Dafür müssen sich die Einwohnerinnen und Einwohner einzeln damit auseinandersetzen. Wie wir in der Schweiz sehen, folgt dieser individuellen Auseinandersetzung ein Dialog zwischen verschiedenen Mitgliedern der Gesellschaft, welcher wiederum das Verständnis und die Verbundenheit mit dem Entscheid fördert.
Diese Blogbeitrag will nicht die Diskussion führen, welches Land die besseren Massnahmen getroffen hat. Er soll an einem praktischen Beispiel aufzeigen, welche Wirkungen Regeln (Gesetz) und Prinzipien (Empfehlung) auf die Mündigkeit der Menschen haben. Regeln haben offensichtlich den klaren Vorteil, dass sich alle Menschen gleichermassen daran halten müssen. Der Nachteil ist, dass sie stark einschränken und keinen Spielraum zulassen.
Der Vorteil von Prinzipien liegt darin, dass die Einschränkung weniger dramatisch ist und einen gewissen Spielraum zulässt. Ausserdem eignen sich Prinzipien für bekannte wie für neue Probleme, wohingegen Regeln nur für bekannte Probleme erstellt werden können. Der Nachteil von Prinzipien: jede Person muss sich damit auseinandersetzen, für sich eine Entscheidung treffen und (Selbst)Verantwortung übernehmen. Und die Folgen sind dann natürlich unterschiedlich – einige Menschen bleiben konsequent zu Hause, während andere an der Seepromenade bummeln.
Prinzipien sind für den Einzelnen anstrengender, weil eine Auseinandersetzung damit verbunden ist. Dafür ist die Freiheit grösser. Und schlussendlich das Vertrauen in die Behörde, weil sie den Bürgerinnen und Bürgern zutraut, Verantwortung zu übernehmen. Zudem reichen einige wenige Prinzipien, um viele Probleme anzugehen. Bei Regeln braucht es für jedes Problem eine Regel (viele Probleme – viele Regeln).
Die Beispiele aus der Schweiz und aus Österreich zeigen die verschiedenen Auswirkungen von Regeln und Prinzipien. Was ist Ihnen persönlich lieber? Mitdenken und Verantwortung übernehmen oder klare Entscheide von oben? Was haben Sie an sich festgestellt? Welchen Umgang mit den Prinzipien (Empfehlungen) haben Sie für sich gefunden? Worin wurden Sie gefordert? Was hat es Ihnen aber auch ermöglicht?
Wie lässt sich das auf eine Organisation übertragen? Organisationen sind im Moment noch mehrheitlich regel- und prozessgesteuert. Braucht es in einer Organisation klare Regeln für alle, damit niemand mehr denken muss? Oder sind Prinzipien nützlicher, mit denen alle mitdenken und Verantwortung übernehmen? Es gibt Organisationsmodelle, die auf Prinzipien statt auf Regeln beruhen (zum Beispiel der BetaCodex). Solche Organisationsmodelle sind komplexitätsrobust und zukunftsfähig. Mehr Informationen dazu gibt es hier.
Mehr zu Regeln und Prinzipien in Organisationen gibt es in diesem Blogbeitrag.
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