Die Heime Kriens sind eine gemeinnützige Aktiengesellschaft im Eigentum der Stadt Kriens (LU). Sie bieten 272 Bewohnerinnen und Bewohnern ein Zuhause. Die Heime Kriens AG richtet sich nach dem Menschenbild, welches die Selbstbestimmung und die Freiheit der Lebensgestaltung in den Mittelpunkt stellt. Konsequenterweise setzt sie dieses Menschenbild auch als Arbeitgeberin um und startete ein Projekt mit selbstführenden Teams. 2019 haben die 380 Mitarbeitenden der Heime Kriens AG ihre Arbeitgeberin zum zweiten Mal nach 2015 als Top-Arbeitgeberin bewertet. Das Unternehmen erzielte am Swiss Arbeitgeber Award 2019 den hervorragenden 1. Platz in der Kategorie der Unternehmen mit 250 bis 999 Mitarbeitenden.
Bart, im Jahr 2019 gewann die Heime Kriens AG den Swiss Arbeitgeber Award. In der Auszeichnung steht, dass sich Heime Kriens im Umgang mit Veränderung besonders stark von den Mitbewerbern abhebt. Was macht ihr anders? Was macht euch aus?
Was uns ausmacht ist sicher unsere Bereitschaft zur Veränderung. Wir als Führungsteam arbeiten schon lange miteinander. Wir haben eine sehr gute Arbeitsbasis und eine gute Mischung aus ganz unterschiedlichen Charakteren. Wir sind uns im Vorgehen einig und der Verwaltungsrat steht hinter uns. Bei Veränderungen praktizieren wir keine Top-down-Prozesse und lassen uns jeweils Zeit, angestossene Veränderungen wirklich zu verfolgen – für uns und für die Bewohnenden. Die soziale Beziehung steht für uns im Vordergrund, ob das mit den Mitarbeitenden, den Bewohnenden oder mit den Angehörigen ist. Und wir suchen aktiv den Perspektivenwechsel. Das macht erfinderisch und ergibt oft ganz neue Lösungen.
Du sprichst von Veränderungen. Was war der Auslöser für die Veränderungen?
Der Auslöser waren zwei Erkenntnisse: Erstens wird innert der nächsten zehn Jahre über die Hälfte der 380 Mitarbeitenden pensioniert sein. Und zweitens kommt eine neue Generation Heimbewohnerinnen und -bewohner auf uns zu. Wir wollten darum fit sein für die nächsten Generationen. Denn sie stellen ganz andere Anforderungen an Führung und Organisation. Für junge Menschen stehen die Aspekte Mitdenken, Verantwortung übernehmen und die Arbeit mit der Familie in Einklang zu bringen im Fokus. Gleichzeitig sind bei der neuen älteren Generation Aspekte wie Individualisierung, Entstandardisierung, Gestaltungsfreiheit und Spielräume erweitern wichtig. Da in unserer Branche sowieso Fachkräftemangel herrscht, ist das Problem noch verschärft. Also war uns klar, dass wir uns verändern müssen. Und wir müssen Hierarchie anders denken. Darum haben wir uns auf den Weg gemacht Richtung Selbstorganisation.
Was waren die ersten Schritte auf diesem Weg?
Begonnen haben wir vor zehn Jahren mit der «Normalisierung des Alltags». Wir definierten das Alter als etwas ganz normales, als eine natürliche Lebensphase. Also weg vom Pflegemodell, das eher an Krankheit orientiert ist. Dabei reflektierten wir unsere Arbeit sowie unsere Organisation. Der «Normalisierungsprozess» und der damit verbundene Strukturabbau fördern die soziale Beziehung. Dabei stellten wir rasch Verbesserungen bei den Bewohnenden und bei den Mitarbeitenden fest bezüglich der Lebens- und Arbeitsqualität. Das bestärkte uns natürlich.
Wie ging es weiter?
Wir wollten an unserer Identität arbeiten und unseren «Normalisierungsprozess» verankern. So starteten wir vor drei Jahren die Auseinandersetzung mit dem Leitbild. An diesem Prozess beteiligten sich Mitarbeitende, Bewohnerinnen und Bewohner sowie Angehörige. Wir haben über 150 andere Leitbilder angeschaut und gemerkt, dass dieses bei uns anders sein muss. So befassten wir uns mit Normen und Begrifflichkeiten. Im Verdichtungsprozess erkannten wir für uns die Bedeutung der Begriffe Normalität, Gestaltungsspielraum, Lebensraum und Begeisterung.
Kannst du mit einem Beispiel erläutern, was ihr dabei herausgefunden habt?
Ich kann das am Begriff «Normalität» zeigen. In einem gemeinsamen Denkprozess und auf der Basis von verschiedenen Analysen entschieden wir, dass wir die Berufskleidung abschaffen. Die Berufskleidung reguliert Nähe und Distanz negativ und pathologisch. Die Arbeit mit Privatkleidung führte zu positiven Auswirkungen bei der Beziehungsgestaltung zwischen Mitarbeitenden und Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern.
Hast du noch ein weiteres Beispiel?
In den vergangenen Jahren befassten wir uns auch mit Sprache. Denn Sprache schafft Wirklichkeit. Wir überarbeiteten unsere Dokumente und entfernten alle Wörter der Altersdiskriminierung – Wörter wie «Betagte» oder solche, die eher krankheitsorientiert sind. Weiter beschlossen wir, nicht mehr von Schnittstellen, sondern von Nahtstellen beziehungsweise Verbindungen zu sprechen. Weil wir Verbindungen zu anderen Gruppen suchen und nicht die Abtrennung.
Was waren die nächsten Schritte?
Nebst der Arbeit mit dem Leitbild haben wir angefangen, Tätigkeiten und Prozesse zu prüfen. Alles, was keinen Nutzen aufwies, haben wir abgeschafft oder in den Hintergrund gesetzt. Dabei ist die Frage «Wozu dient das?» sehr hilfreich. Jetzt beginnen wir, Kanban Boards zu nutzen. Einige Teams führen bereits regelmässig Retrospektiven durch. Dabei lernen die Teams, sich immer mehr selber und besser zu organisieren. Durch diesen Prozess erleben sie die Selbstorganisation zunehmend als sinnhaft. Es geht immer darum, die intrinsische Motivation von jedem einzelnen – also Mitarbeiterin, Mitarbeiter, Heimbewohnerin und Heimbewohner – zu stärken und klar aufzuzeigen, dass sie ihren Alltag selber beeinflussen können für einen wertvollen Lebensalltag.
Du hast das Lernen erwähnt. Welchen Stellenwert hatte und hat Lernen in eurem Prozess?
Einen sehr grossen. Nebst der erwähnten Retrospektive bieten wir Schulungen an. Zum Beispiel den Kurs «Gerontologische Grundlagen». Teilnehmen darf jede Person, die will. Egal, ob sie extern oder intern ist. Wir verfolgen das Prinzip der Freiwilligkeit. Da Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen teilnehmen und auch die Sprachfähigkeit ein Thema ist, setzen wir auf Austausch und Erfahrungslernen. Ein weiterer, grosser Aspekt im Lernen ist der Umgang mit der erlernten Hilflosigkeit. Ich habe ein grosses Zutrauen in die Menschen und manchmal braucht es einiges, bis die Menschen sich selber und ihren Fähigkeiten wieder vertrauen. Lernen bedeutet ja auch immer, aus Fehler zu lernen und Raum zu bieten für die weitere Gestaltung.
Das tönt sehr toll. Was ist euch ausserdem noch wichtig?
Das wichtigste für uns sind wirklich der Mensch und die soziale Interaktion. Fachliche Kompetenzen kann man lernen und sind Voraussetzung für unsere Tätigkeit. Aber im Vordergrund steht für uns die Beziehung. Sie macht den Unterschied aus. Das hören wir auch immer wieder von aussen, wenn interessierte Kollegen und Kolleginnen bei uns schnuppern. Unsere Vision hat eine Art Sogwirkung und wir erfreuen uns an einer sehr niedrigen Fluktuationsrate. Wir fördern Vernetzung und Beziehungsgestaltung ganz bewusst. Zum Beispiel werden in jedem Modul kleine Projekte in gemischten Gruppen umgesetzt. Und zwar direkt im Alltag. So übt die Gruppe die Mehrperspektive und den Umgang mit Vielfalt. Das sind kleine Projekte, die aber oft ganz viel bewegen.
Was ist der nächste Schritt auf eurem Weg in die Selbstorganisation?
Priorität hat in erster Linie das schrittweise Begleiten von Teams. Ausserdem widmen wir uns dem Thema Transparenz innerhalb der Organisation. Wir ordnen gerade unser Informationssystem und die Zugänglichkeiten werden neu diskutiert. Ausserdem erproben wir verschiedene Kommunikationswege wie zum Beispiel die Nutzung von Apps. Gleichzeitig machen wir uns Gedanken, wie wir uns in einem angepassten Organigramm darstellen. Wir verabschieden uns vom klassischen, hierarchisch geordneten Organigramm und bilden ein agiles Organigramm, in welchem Kreise die Vernetzung darstellen.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!