Der Titel des Buchs von Wolf Lotter provoziert. Das wurde im Buchklub von crearium deutlich. Warum es sich lohnt, dieses Buch zu lesen und warum sich Leistung wieder lohnen muss, davon handelt dieser Blogbeitrag.
Im Buchklub von crearium besprechen wir alle paar Wochen ein Buch, das eine Mehrheit unter den Klubmitgliedern gefunden hat (Klubmitglied können übrigens alle werden – ohne Mitgliederbeitrag ????). Im Juni 2022 war es das Buch «Strengt euch an! Warum sich Leistung wieder lohnen muss» von Wolf Lotter. Gleich zu Beginn der Buchbesprechung wurde klar: der Buchtitel provoziert. Das ist verständlich, wenn man sieht, wie sich alle wie verrückt im Hamsterrad drehen und sich wirklich Mühe geben, gute Arbeit zu leisten, die Vorgaben zu erfüllen oder zu übertreffen. Wir strengen uns ja an! Doch es ist nicht diese Anstrengung, die Wolf Lotter meint.
Er beginnt sein Buch mit einem Auszug aus einem Gedicht von Bertolt Brecht:
«Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns /
Vor uns liegen die Mühen der Ebenen»
Damit bringt er die heutige Herausforderung sehr präzise auf den Punkt. In den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg ging es im Wesentlichen um den Auf- und Ausbau des Wohlstands. Das ist – zumindest in der westlichen Welt – innert weniger als einem halben Jahrhundert vollbracht. Das waren die Mühen des Gebirges. Ein (klares) Ziel vor Augen konnten sich alle darauf ausrichten.
Doch was jetzt? Wir haben alles und mehr, was wir für ein gutes Leben brauchen. «Der Wohlstand hat uns in einen Zustand von intellektueller Faulheit und Feigheit gebracht», schreibt Lotter. Und liefert auch eine Begründung dafür: «In der Industriegesellschaft waren Routinen und Normen das Wichtigste.» Fleiss, Sorgsamkeit und Gehorsamkeit waren wichtigere Fähigkeiten als Innovation und Kreativität. Das zieht sich bis heute durch. «Wir sind fleissig, aber wir strengen uns nicht an», meint Lotter. «Man war so erfolgreich, dass man aufgehört hatte, sich anzustrengen.» In einer Wissensgesellschaft sind Denken und Kreativität die wichtigsten Ressourcen für Wohlstand und Fortschritt. Wir befinden uns jetzt «in den Ebenen». Das Ziel ist nicht mehr so eindeutig, es könnte in alle möglichen Richtungen gehen. Das ist anders anstrengend als im Gebirge. «Es ist viel anstrengender, als sich routiniert im Hamsterrad zu drehen», wie Lotter sagt.
«Die Mühen der Ebene fordern uns heraus, uns selbst Orientierung zu geben.» Dazu gehört auch, den Begriff der Leistung neu zu definieren. Wenn es nicht mehr darum geht, noch schneller noch mehr zu produzieren (weil das keinen neuen Nutzen mehr bringt «in der Ebene»), um was geht es dann? Lotters Antwort: «Menschliche Leistung misst sich an einer Einstellung, einer Haltung: dem Bemühen, sein Bestes zu geben.» Und weiter: «Leistung meint also, … Dinge und Sachverhalte kritisch zu sehen – und neu zu denken. Das ist sehr harte Arbeit.»
Sein Buch ist ein Appell an Selbstverantwortung, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Wobei gerade letzteres häufig missverstanden wird. Selbstverwirklichung bedeutet ja nicht, dass ich nur etwas für mich selbst tue. In seinem Buch schreibt Wolf Lotter dazu: «Selbstverwirklichung bedeutet, herausgefunden zu haben, was man am besten kann, und wie man anderen damit am besten dienen kann.» Und das ist fundamental, denn «die Wissensgesellschaft wird massgeblich aus Dienstleistungen bestehen». In diesem Sinn ist auch der Titel des Buchs zu verstehen. Strengt euch an, euer Bestes zum Wohle aller zu geben.
Zitate aus dem Buch, die uns besonders gefallen:
«Humanistisches Denken traut den Menschen eigene Entscheidungen zu. Das ist der Wesenskern des Humanismus.»
«Die Komplexität ist unser Freund. Seit dem Industrialismus ist es zur Unsitte geworden, alles Komplexe reduzieren zu wollen, damit es leichter konsumierbar ist.»
«Der Begriff der Augenhöhe meint aber nicht, dass sich zwei unterschiedliche Menschen gleich begegnen. Er bedeutet, dass der eine den anderen zur Betrachtung und zum Austausch einlädt.»
«Die Welt besser machen, das hat nie etwas anderes bedeutet, als sie zu einem Ort mit weniger Intoleranz, Schrecken und Unverständnis zu machen.»
«Organisationen müssen auf Netzwerkorganisationen umgestaltet werden.»
«Sich anzustrengen bedeutet, zu sich selbst zu finden und weiterzumachen.»
Herzlichen Dank an die Mitdenker:innen und Mitdiskutierer:innen im Buchklub. Die gemeinsame Diskussion eröffnet uns immer wieder neue Perspektiven auf die Bücher!
Im Buchklub vom 29. August 2022 besprechen wir das Buch «Irrtümer der Komplexität» von Stephanie Borgert. Wer sich für den Buchklub von crearium interessiert, findet hier Informationen.
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