27.02.2019, Entwicklung von Individuen

Sich zu entscheiden fällt nicht immer leicht

Ein Plädoyer für das Zaudern.

Zögern bei Entscheidungen

Zögern bei Entscheidungen zeugt von verantwortungsvollem Handeln.

Nie zuvor musste der Mensch so viele Entscheidungen treffen wie heute. Sei es im Job oder im privaten Leben. Manche fallen uns leicht und andere Entscheidungen sind gewichtiger. So zum Beispiel, ob ich kündigen soll oder ob dieses Jobangebot das richtige für mich ist. Manche Entscheidungen sind so gewichtig, dass wir gefühlt wahrnehmen, unser alleiniges Glück hängt davon ab. Wenn so grosse Themen auf dem Tisch sind, braucht es Zeit, um nachzuspüren, was denn nun die richtige Entscheidung ist. In einer Arbeitswelt, in der aber Entscheidungsfreudigkeit als die grosse Kompetenz gilt, ist das Innehalten nicht so einfach.

Ist das meine Zukunft?

Ein neues Jobangebot liegt auf dem Tisch. Das ist die Ausgangslage einer Kundin. Zwar bereitete sie sich schon längere Zeit auf einen nächsten Karriereschritt vor und doch kam das Angebot aus einem unerwarteten Unternehmen. Ein erstes Gespräch zeigte ein mögliches Bild der Aufgabe. Da die Stelle aber neu geschaffen wurde, blieb es bei einer Grobskizze. Der Dialog mit dem Vorgesetzten empfand die Kundin als sehr angenehm, das erste Bauchgefühl stimmte und sagte einer Zusammenarbeit tendenziell zu. Bereits am nächsten Tag fragte das Unternehmen nach einer Zu-oder Absage. Die Kandidatin wollte aber noch einige Fragen klären und erbat um ein zweites Gespräch. Auch dieses verlief sehr positiv. Und auch nach diesem Gespräch bat das Unternehmen um die Zu-oder Absage. Doch auch jetzt war für meine Kundin der Entscheidungspunkt noch nicht gekommen (siehe Blogbeitrag Entscheidungsprozesse) War das der richtige Schritt in die Zukunft? Bot diese die Stelle die gewünschte Entwicklung? Meine Kundin zögerte.

Das Zaudern

Wir alle kennen das. Wir wünschen schnelle Entscheidungshelfer und verzweifeln an unserer eigenen Unschlüssigkeit. Als Coach finde ich das Zaudern ab und zu durchaus angebracht. Zögern heisst, sich Zeit für neue Betrachtungen nehmen, mit der Möglichkeit des Perspektivenwechsels spielen, die Konsequenzen einer bestimmten Vorgehensweise überdenken und sich Alternativen vor Augen führen. Was daran ist schlecht? Zaudern oder zögern ist für mich nicht ein Ausweichen von Verantwortung, sondern eine ureigene Bedingung von Individualität und verantwortlichem Verhalten – also die Grundvoraussetzung für Mündigkeit. Wie sich meine Kundin entschieden hat? Ist eigentlich unwichtig. Laut ihrem Feedback half ihr, dass wir ihrem Zaudern den Druck genommen haben und sie sich selber Raum gab. Die Entscheidung fiel dann ganz von alleine.

Das Zaudern neu besetzen

Wie gelingt dieser Perspektivenwechsel? Gerne entlehne ich dazu ein sprachliches Bild von Alice Lagaay, Philosophin und Professorin für Ästhetik. «Wer zögert, befindet sich in einem Zustand der Aufregung und der erhöhten Wachsamkeit der Sinne. In einem Zustand des Seins in seiner vielleicht intensivsten und risikoreichen Ausprägung. Mit Inaktivität oder Untätigkeit hat das nichts zu tun.» In einem wunderbaren Text vergleicht sie den Zustand des Zauderns mit dem Zucken eines Katenschwanzes, bevor sich die Katze auf die Beute stürzt. Im Fokus dieses Hinauszögerns sieht sie die Konzentration von Zeit und Potential. Der peitschende Katzenschwanz zeugt von einer derartigen Konzentration und Spannung, die die Grundvoraussetzung ist, um sich im besten Moment auf die Beute zu stürzen.

Falls Sie mehr über Entscheidungen oder Alice Lagaay lesen möchten, empfehle ich Ihnen die Zeitschrift «philosophie Magazin. Wie treffe ich eine gute Entscheidung. Nr.2 Februar/März 2019».

Autorin

Luzia Anliker

Luzia Anliker ist Beraterin und Coach. Im Blog berichtet sie aus ihrer langjährigen und vielfältigen Tätigkeit bei crearium.

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Kommentare (2)

  • Christoph am 27.02.2019
    Spannender Blog Luzia - Als neugieriger „Bauchmensch“ möchte ich natürlich wissen, ob’s beim Bauchgefühl blieb und geklappt hat mit denn Job :-)
    • Luzia Anliker am 28.02.2019
      Lieber Christoph. Vielen Dank! Und ja es hat geklappt. Viele Grüsse Luzia
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