06.12.2017, Interkulturelle Entwicklung

«Mir ist es wichtig, dass die Mutter die für sie richtige Entscheidung fällt»

Welche interkulturellen Erfahrungen eine Hebamme in ihrem Beruf macht.

Carole Bachmann

Carole Bachmann macht als Hebamme täglich interkulturelle Erfahrungen.

Seit fast 20 Jahren arbeitet Carole Bachmann aus Luzern als Hebamme. Während 15 Jahren im Gebärsaal des Kantonsspitals Luzern, jetzt auf der Pränatalstation für stationäre Schwangere und Wöchnerinnen. Und seit bald zwei Jahren ist sie auch freiberuflich in der privaten Wochenbettbetreuung tätig. Durch ihre Arbeit lernt sie Schwangere, Mütter und Familien aus allen Kulturen kennen – im Spital wie auch bei ihnen zu Hause. Welche Unterschiede sie feststellt, wie sie damit umgeht und was sie schon alles erlebt hat, erzählt Carole Bachmann im Interview.

Carole, in der Frauenklinik berätst und betreust du Frauen während der Schwangerschaft, der Geburt und während des Wochenbetts. Was sind deine Tätigkeiten als freiberufliche Hebamme?

Carole Bachmann: Jede Wöchnerin hat zu Hause Anrecht auf Unterstützung durch eine Hebamme. Diese Unterstützung leisten freiberufliche Hebammen. Das heisst, ich besuche die Wöchnerin bei ihr zu Hause. In erster Linie geht es bei diesen Besuchen um die Pflege, um die Überwachung des Gesundheitszustandes von Mutter und Kind sowie um Beratung.

Wie häufig und wie lange besuchst du die Frauen und ihre Kinder?

Das ist natürlich sehr individuell. Der erste Besuch dauert in der Regel um die zwei Stun-den. Die weiteren je nachdem, wie es der Mutter und dem Kind geht, welche Erfahrung die Mutter hat und wie viel Unterstützung sie von anderen Menschen, zum Beispiel Familienangehörigen, erhält. Weniger als fünf Besuche sind es selten, mehr als 10 meistens aber auch nicht. Normalerweise schliesse ich eine Betreuung nach sechs Wochen ab.

Bei deiner Arbeit wirst du auch interkulturelle Erfahrungen machen. Was kannst du uns dazu erzählen?

Ich habe jeden Tag mit Frauen aus verschiedenen Kulturen zu tun. Dabei stelle ich grosse Unterschiede fest. Schweizer Familienangehörige sind zum Beispiel recht zurückhaltend. Grosseltern geben kaum von sich aus Ratschläge. Sie erkennen, dass sich die Tochter oder Schwiegertochter vor der Geburt gründlich informiert hat und die Säuglingspflege selber gestalten will. In anderen Kulturen ist die Geburt eines Kindes eine Angelegenheit, die nicht nur die direkte Familie betrifft sondern auch die Grosseltern, Onkel und Tanten. Und diese halten sich nicht zurück mit gutgemeinten Ratschlägen. Manchmal widersprechen sich die Ratschläge der Mutter und die der Schwiegermutter auch. Das kann für junge Mütter sehr verwirrend und belastend sein.

Was unternimmst du in solchen Situationen?

Ich versuche immer, sachlich die Zusammenhänge darzulegen. Oftmals gibt es kein ein-deutiges Richtig oder Falsch. Das Entscheidende ist das Wohl des Kindes und das der Mutter. Mir ist es wichtig, dass die Mutter aufgrund von fachlichen Informationen die für sie richtige Entscheidung fällt. Unabhängig davon, was die Schwiegermama dazu meint.

Welche Schwierigkeiten stellen sich für dich in der interkulturellen Zusammenarbeit?

Die grösste Schwierigkeit ist wahrscheinlich die Sprache. Manchmal geht es tatsächlich nur mit Händen und Füssen, sich zu verständigen. Weil es in vielen Situationen aber auch darum geht, zu zeigen, wie die Eltern ihr Kind pflegen können, kann ich eben viel mit vormachen/nachmachen vermitteln.

Eine Familie mit einem Kleinkind so häufig zu besuchen und zu begleiten gibt auch Einblick in Familientraditionen. Was hast du dabei schon erlebt?

Jede Familie ist anders. Ein eindrückliches Erlebnis hatte ich in einer kurdischen Familie. Gemäss ihrer Tradition ist es wichtig, dass das Kind gründlich gereinigt wird. Also hat die Grossmutter den Säugling in einem Bad mit ganz viel Schaum gebadet und mit einer Schöpfkelle immer wieder Schaum und Wasser über das Kind gegossen. An diesem Brauch, an dem die ganze Familie teilnimmt und der einen wichtigen Moment im Leben einer Familie darstellt, teilzuhaben, hat mich sehr berührt.

Was hast du von deinen interkulturellen Erfahrungen für dich mitgenommen?

Mein Horizont hat sich stark vergrössert. Meine Bereitschaft, Menschen, denen ich im Alltag begegne, zu Toleranz aufzufordern, ist gestiegen. Durch meine Erfahrungen kenne ich viele Situationen, die zeigen, dass wir alles Menschen sind mit den gleichen Ängsten und Bedürfnissen. Menschen aus anderen Kulturen sind genauso bekümmert um ihre Kinder und wollen für ihre Kinder genauso das Beste wie wir auch.

Autor

Beat Kunz

Beat Kunz ist Organisations- und Kommunikationsberater. Im Blog berichtet er aus seiner vielfältigen Tätigkeit bei crearium.

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