Menschen in ihren Fragen rund um berufliche Anliegen zu begleiten ist mir eine Freude. Generell und besonders zu Fragen von Führung und Organisationsgestaltung. Dabei kommt immer wieder eine Frage auf den Tisch, die mich sehr erstaunt und nachdenklich stimmt. Davon handelt dieser Blogbeitrag.
Im Rahmen eines Führungscoachings stellte mir eine junge Führungsperson die Frage: «Wie motiviere ich meine Mitarbeitenden?» Diese Frage wurde sehr ernsthaft und auch etwas ratlos vorgebracht. Auf meine Gegenfrage, woher denn der Gedanke stamme, dass das die Aufgabe einer Führungsperson sei, bekam ich die Antwort: «Das habe ich im Studium so gehört und auch in der Organisation. Das wird doch von mir erwartet.» Diese Äusserung fasse ich jeweils als Einladung zum Gespräch auf. Lohnt es sich doch, etwas genauer hinzuschauen, wie es sich mit der Motivation und der Motivierung verhält.
Ich finde es jeweils sehr hilfreich, zwischen den Begriffen «Motivation» und «Motivierung» zu unterscheiden. Dazu greife ich gerne auf die Worte von Reinhard K. Sprenger zurück. Er versteht unter Motivation die Eigensteuerung, eine intrinsische Kraft des Individuums, die ganz dem Individuum gehört. Als Motivierung bezeichnet er ein absichtsvolles Handeln einer anderen Person (zum Beispiel Vorgesetzten) oder das Einsetzen von Anreizsystemen. Motivierung stellt somit eine Fremdsteuerung dar. Fremdsteuerung ist bei genauerer Betrachtung Manipulation (lat. für «mit der Hand ziehen»). Wenn wir davon ausgehen, dass Menschen freiwillig einen Job antreten, weil ihnen die Aufgaben Spass machen, weil er eine Herausforderung darstellt oder sie darin eine Sinnhaftigkeit erleben, warum braucht es dann Motivierung?
So fragte ich die Führungsperson, was ihre Motivation sei. Sie konnte mir das ganz genau sagen: «Mich reizt die Aufgabe, etwas zu bewirken.» Und wie werde sie denn von ihrem Vorgesetzten motiviert? «Gar nicht. Das ist nicht nötig. Ich bin ja bereits motiviert.» Weiter hat mich interessiert, wie die Führungsperson die Motivation der Mitarbeitenden einschätzte, als diese ihre Stelle antraten und jetzt nach längerer Tätigkeit. Die Antwort war, dass die Motivation abgenommen habe. Es wäre jetzt interessant herauszufinden, was in der Zeit zwischen Stellenantritt und jetzt dazu geführt hat, dass die Motivation abgenommen hat.
Nach Edwards W. Deming, einem amerikanischen Pionier im Bereich des Qualitätsmanagements, sind 94% der Probleme in einer Organisation Systemthemen und nur 6% machen Arbeit am Menschen nötig. Auch Aspekte auf der Beziehungsebene spielen eine massgebliche Rolle. Wenn die Gründe der Demotivation erkannt wurden ist es möglich, an den Systemthemen und/oder auf der Beziehungsebene zu arbeiten. Statt sich der Ursache für die abnehmende Motivation zu widmen reagieren viele Führungskräfte mit Motivierungsprogrammen. Sie gehen davon aus, dass der Mensch das Problem ist. Möglicherweise hat das auch mit dem zugrundeliegenden Menschenbild zu tun.
«Manchmal tut es gut, ein Thema zu durchdringen. Nun wird mir auch klar, warum ich so ein komisches Gefühl bei dieser Erwartung hatte.» Das sind die Worte von meinem Gegenüber vom Anfang dieses Blogbeitrags. Sie geht nun auf Ursachenforschung und versucht das Umfeld so zu gestalten, dass die Mitarbeitenden ihre ursprüngliche Motivation wieder ausleben können. Es freut mich sehr, wenn da ein alter Zopf abgeschnitten werden konnte.
Literaturhinweis: Reinhard K. Sprenger. Mythos Motivation. Campus Verlag.
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