21.10.2020

Es war einmal eine Selbstorganisation…

Mythen und Märchen, die sich rund um das Thema Selbstorganisation ranken.

Selbstorganisation

Um Selbstorganisation ranken sich zahlreiche Märchen und Mythen.

Zwei Teams aus einem Industriebetrieb befassen sich mit dem Thema Selbstorganisation. Ihnen geht es nicht nur darum, warum Selbstorganisation sinnvoll oder nützlich ist. Sondern auch ganz praktisch darum, wie Selbstorganisation denn funktioniert. Im Gespräch mit den Teams tauchen dazu verschiedene Fragen auf, die sehr wertvoll sind, geklärt zu werden. Dabei fällt auf, dass noch vieles rund um dieses Thema unklar oder unbekannt ist und der Interpretationsspielraum und die Phantasie dementsprechend gross sind. In diesem Blogbeitrag werden die oft gehörten Mythen in Bezug auf Selbstorganisation auf Teamebene erklärt.

In der Selbstorganisation kann jeder und jede machen, was er oder sie will

Auch in der Selbstorganisation gibt es Abmachungen und Aufgaben, die verteilt werden und das Team definiert klare Strukturen. Diese Struktur ist jedoch keine Machthierarchie, denn in der Selbstorganisation gibt es keine Macht durch Position. Macht wird verteilt, wobei Macht nicht als Nullsummenspiel betrachtet wird. Das Ziel von Selbstorganisation ist nicht, allen gleich viel Macht zu geben, sondern alle machtvoll zu machen. Ein weiterer Unterschied zur klassischen Führung: die Übernahme von Verantwortung ist allen zugänglich, transparent und nicht an eine Position – also an ein Kästchen in der Hierarchie – gebunden. Wer will, kann durch die Rollenübernahme auch Verantwortung übernehmen. In den gemeinsam gesetzten Austauschgefässen wird über Wertschöpfung, Leistung und Wirksamkeit diskutiert und verhandelt.

In der Selbstorganisation müssen alle alles können

Wir Menschen haben alle viele Fähigkeiten. In der Selbstorganisation im Team geht es darum, diesem Reichtum ganz unterschiedlicher Fähigkeiten Raum zu geben. Dort, wo eine Person Potential in der Wertschöpfung sieht und ihre Fähigkeiten einen Beitrag leisten können, übernimmt sie Verantwortung. Umgang mit Vielfalt und Komplexität heisst nicht, alle machen alles. Sondern dort, wo jemand Könnerschaft hat oder sie sich aneignen will, darf er oder sie gestalten.

In der Selbstorganisation haben sich alle lieb, bewerten sich gegenseitig gut und es finden keine Konfrontationen statt

Mein Lieblingsmythos. Der (fried)höfliche Umgang gibt es eher in managergeführten Teams. Denn dort ist für mich als Mitarbeiter/in klar: wenn ich ein Problem mit meinem Kollegen habe, wende ich mich an meinen Vorgesetzten. Und der sagt es dann meinem Kollegen usw. In selbstorganisierten Teams sind der Austausch und der Dialog üblicher und darum auch geübter. Aus meinen Erlebnissen oft sogar sehr viel differenzierter in der Kommunikation. Denn es ist dem Team nicht egal, wie Wertschöpfung entsteht oder wer wie zur Wertschöpfung beiträgt. Ein Beispiel ist das Peer Recruiting: wenn Kollegen und Kolleginnen mitbestimmen können, wer nachher im Team mitarbeitet, sind die Vorstellungsgespräche oft viel kritischer und herausfordernder, als wenn jemand aus dem HR rekrutiert.

Es gibt Menschen, die brauchen eine starke Führung und wollen einen Chef, der sagt, wo es lang geht

Wenn dieser Satz wahr wäre, dann würden wir alle noch in der Kindheit feststecken und uns immer noch nach einer Mutter oder einem Vater sehnen. Wie könnten wir dann unser Leben meistern? Häuser bauen und sogar Kinder grossziehen? Wenn ich das von mir selber denke, ist das eine Sache. Diese Ansicht über andere Menschen zu haben ist ziemlich entmündigend. Vielleicht nützt da die Reflexion über das eigene Menschenbild. Erwachsene Menschen sind bereit und fähig, Verantwortung unter gewissen Bedingungen anzunehmen.

Durch langfädige Gespräche im Team dauert es ewig, bis eine gemeinsame Entscheidung steht

Der Grundsatz in der Selbstorganisation lautet, dass Entscheidungen dort fallen, wo das Problem ansteht und Könnertum vorhanden ist. Bei wichtigen oder sehr ungewöhnlichen Entscheidungen hilft die Konsultation bei Kollegen und Kolleginnen. In der Konsultation nutze ich die kollektive Intelligenz und entscheide dann selber unter Berücksichtigung aller Gedanken. Das ist ein konsultativer Einzelentscheid. Falls trotzdem als Team Entscheidungen anstehen – und das sind eher wenige – gibt es neben dem Konsens auch noch andere, effizientere Methoden.

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