07.04.2021

Eine Beobachtung aus den letzten Jahren

Den eigenen Beitrag nicht mehr zu erkennen ist nicht das Gleiche wie die Erkenntnis, diese Tätigkeit nicht mehr zu mögen.

Berufliche Orientierung

Manchmal braucht es eine Klärung, welcher berufliche Pfad zu einem passt.

In den letzten Jahren begleitete ich in der Laufbahnberatung einige Menschen. Diese Tätigkeit ist mir eine grosse Freude. Besonders erfreut es mich, wenn Personen ihre Ressourcen (wieder) entdecken und erneut Zufriedenheit oder gar Erfüllung im Beruf finden. Manchmal gelingt das durch die Wahl eines neuen Berufes oder dank einer Entwicklung mit einer Weiterbildung und manchmal braucht es auch einfach eine Klärung, welcher Pfad zu einem passt. Gerade bei einer komplett neuen Orientierung geht es darum, die eigenen Fähigkeiten und Interessen gut zu kennen und auch zu wissen, welche Rahmenbedingungen einem bei der Arbeit gut unterstützen.

Den Beitrag vermissen

In diesen Reflexionsprozessen häuft sich eine Beobachtung. Die Menschen treibt die Frage nach einem neuen Beruf um. In der Reflexion wird deutlich, dass die momentane Tätigkeit sehr gut passt und eigentlich sogar als spannend empfunden wird. Im weiteren Gespräch formulieren die Personen jeweils, dass sie aus purer Unzufriedenheit einen Wechsel anstreben. Warum? Was passt nicht oder führt zu einer so grossen Unzufriedenheit? Erstaunlicherweise höre ich dann Aussagen wie:

  • «Ich kann nichts mehr beitragen.»
  • «Ich sehe meinen Beitrag nicht mehr.»
  • «Meine Arbeit ist so sinnlos geworden.»

Das sind Aussagen, die oft sehr resigniert geäussert werden. Doch das ist nicht das Gleiche wie «Ich habe keine Freude mehr an meiner Tätigkeit» oder «Ich habe Lust, Neues zu lernen». Diese Menschen erleben ihre Arbeit und ihren Beitrag in der Organisation nicht mehr als sinnvoll. Für sie macht es keinen Unterschied, ob sie dort sind oder nicht. Die Folge ist grosse Unzufriedenheit oder sogar Entfremdung. Dieser Zustand führt zu Abgestumpftheit und Lethargie. Doch die meisten Menschen haben Lust, beizutragen und zu gestalten und wollen verstehen, wozu etwas gut ist. Sie wollen Zusammenhänge erkennen und für Kunden Probleme lösen. Wie kommt es, dass sie ihren eigenen Beitrag nicht mehr erkennen und sie ihre Arbeit als «wertlos» betrachten? Warum setzen Organisationen Rahmenbedingungen, die das zulassen oder sogar fördern?

Organisationsgestaltung wie in früheren Zeiten

Dazu ist es hilfreich zu verstehen, wo wir in der Organisationsgestaltung aktuell gerade stehen. Wir leben im Umbruch von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. Doch die Mehrheit der Organisationen ist noch so geführt wie in der Industrialisierung – nämlich durch «Scientific Management» nach Frederick Winslow Taylor. Seine Errungenschaft war es, durch hohe Standardisierung, stetige Optimierung durch Routine und einer klaren Arbeitsteilung eine hohe Effizienz zu erzeugen. Was auch gelang. Doch mit dieser Art der Gestaltung erlebe ich mich als Mensch im Silo entkoppelt von den Kunden und der Wertschöpfung. Ich weiss nicht, was vorher oder nachher passiert. Ich sehe den Sinngehalt meiner Arbeit nicht mehr. Wolf Lotter schreibt in seinem Buch «Zusammenhänge» dazu: «Taylorismus gilt bis heute als Inbegriff der systemischen Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit.» Zum Glück erkennen immer mehr Organisationen die Notwendigkeit einer neuen Gestaltung von Organisationen. Dass es um «immer besser» statt «immer mehr» geht, wie es Lotter auf den Punkt bringt. Und ich freue mich, wenn Menschen, die eigentlich ihre Tätigkeit lieben, erleben, dass sie zu einem grossen Ganzen beitragen.

Quelle: Wolf Lotter. Zusammenhänge – Wie wir lernen, die Welt wieder zu verstehen. 2020. Verlag Edition Körber.

Autorin

Luzia Anliker

Luzia Anliker ist Beraterin und Coach. Im Blog berichtet sie aus ihrer langjährigen und vielfältigen Tätigkeit bei crearium.

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