05.05.2022

Aus Interesse nachfragen

Sich interessieren ist nicht kontrollieren.

Kontrolle

Wer die Entscheidung abgibt, lässt die Übernahme von Verantwortung zu.

In einer Organisationseinheit eines grossen Unternehmens finden einige Anlässe wie Informationsveranstaltungen, Workshops und andere Entwicklungsformate einladungsbasiert statt. Die Inhalte der Anlässe sind für die Zukunftsfähigkeit der Organisation sehr wichtig und nicht einfach «nice to have». Gerade deswegen hat sich das oberste Management entschieden, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Einladung zu senden und nicht eine Aufforderung zur Teilnahme.

Freiwilligkeit hat eine grosse Wirkung

«Wenn die Teilnahme nicht Pflicht ist, wird es wohl nicht so wichtig sein», denken möglicherweise einige. Diese Annahme trifft vermutlich in vielen Unternehmen zu. Doch die zwingende Teilnahme bei wichtigen Anlässen ist eigentlich falsch. Gerade weil es wichtige Inhalte sind, ist die Teilnahme aus freien Stücken viel ratsamer. Was ist der Unterschied zwischen einer Veranstaltung mit Menschen, die freiwillig und aus eigener Entscheidung daran teilnehmen und einem Anlass, an dem eine Pflichtteilnahme besteht? Bei welchem Anlass gibt es mehr Engagement? Wo löst er mehr aus?

Bei Zwangsveranstaltungen entscheidet der Chef, was für die Angestellten wichtig ist. Das ist natürlich in höchstem Grad übergriffig. Dieses Vorgehen entmündigt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie erhalten die Botschaft, dass sie nicht in der Lage sind, selber zu entscheiden, was für sie relevant ist und was nicht. Wer so vorgeht, will keine mitdenkende und Verantwortung übernehmende Angestellte.

Ich interessiere mich, will aber nicht kontrollierend wirken

Das Prinzip der Freiwilligkeit hat die eingangs erwähnte Organisation verstanden. Das oberste Führungsgremium hat für die verschiedenen Anlässe Einladungen ausgesprochen und dabei das Prinzip der Freiwilligkeit jeweils deutlich gemacht. Die Anlässe haben dann auch mit einer stattlichen Zahl Freiwilliger stattgefunden.

Beim abschliessenden Debriefing wollten wir von den Führungspersonen wissen, was sie und ihre Teams aus diesen Anlässen mitgenommen haben. Einstimmig erklärten die Manager, dass sie diese Frage nicht beantworten können, weil sie nicht mit ihren Teams über die Anlässe gesprochen hätten. Aufgrund der Wichtigkeit der Themen hat uns dies sehr gewundert. Worauf wir nachfragten, warum sie mit ihren Teams nicht darüber gesprochen hätten. «Das hätte ausgesehen, dass wir kontrollieren möchten, wer teilgenommen hat und wer nicht», war ihre Antwort.

Echtes persönliches Interesse ist der Schlüssel

Diese Behutsamkeit ist einerseits sehr achtsam. Andererseits bestätigt es gleichsam die Vermutung vieler, dass eine freiwillige Veranstaltung wahrscheinlich nicht so wichtig ist. Denn wenn die Inhalte wichtig wären, würde man ja darüber reden und die Themen wieder aufnehmen. Ein Dilemma.

Diese Führungspersonen waren aber sehr wohl interessiert zu erfahren, was die an den Veranstaltungen besprochenen Themen auslösten. Und genau das ist aus unserer Sicht auch der Schlüssel zum Gelingen. Wenn ich aus echtem persönlichem Interesse nachfrage, wird das kaum als Kontrolle ausgelegt. Dafür ist die Wahl des Settings und der Worte ausschlaggebend – insbesondere, wenn die Kontrollvermutung noch verbreitet ist. Hilfreich sind «wirkungsvolle Fragen», wie sie Amy C. Edmondson in ihrem Buch «Die angstfreie Organisation» beschreibt. Wirkungsvolle Fragen

  • erzeugen Neugier und signalisieren echtes Interesse
  • stimulieren reflektierende Gespräche
  • regen zum Nachdenken an
  • lassen tieferliegende Annahmen sichtbar werden
  • laden Kreativität und neue Möglichkeiten ein
  • generieren Energie und Vorwärtsbewegung
  • kanalisieren die Aufmerksamkeit und fokussieren das Nachforschen
  • bleiben bei den Teilnehmenden
  • berühren einen tiefen Sinn
  • rufen weitere Fragen hervor

Sie schaffen einen (neuen) Bezugsrahmen, der es ermöglicht, das bisherige Denkmuster (nachfragen = Kontrolle) zu verändern.

Autor

Beat Kunz

Beat Kunz ist Organisations- und Kommunikationsberater. Im Blog berichtet er aus seiner vielfältigen Tätigkeit bei crearium.

Alle Blogbeiträge dieses Autors

Neuen Kommentar schreiben

Ich akzeptiere die Datenschutzbestimmungen.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!
zum Seitenanfang